Rezeption

Vom Januar 1936 an erschienen im Tagesrhythmus Ankündigungen, Vorberichte und Rezensionen zu den Aufführungen des Menaka-Balletts in den lokalen und überregionalen Zeitungen entlang der Spielorte der Tournee in Deutschland. Allein im Jahr 1936 waren das bei etwa 150 verschiedenen Spielstätten mehrere hundert Texte.

Man sah an allen Plakatsäulen die Worte „Indisches Ballett“, man sah das Fremde, das Ausländische und das genügte eine fieberhafte Tätigkeit dahingehend zu entfesseln, so etwas um jeden Preis gesehen zu haben. Auch bei uns waren alle Plätze weit vor der Veranstaltung ausverkauft und am Abend der Vorstellung glich der Platz vor unseren kleinen Theater einem Modebad, welches seine Gäste zu einem großen Kurkonzert ins Freie geladen hat. (Ammergauer-Zeitung, 25.08.1936)

Der Impresario der Tournee, Ernst Krauss, hatte im Vorfeld aller Veranstaltungen eine akribische Pressearbeit betrieben und auf diese Weise der Rezeption des indischen Balletts in Deutschland einen bestimmten Rahmen vorgegeben. Der Pressespiegel wiederum, den Krauss für sein Menaka-Portfolio zusammengestellt und kontinuierlich aktualisiert hatte, zeichnet ein durchweg euphorisches Bild der Publikumsreaktionen. Im Archiv der Konzertdirektion Krauss sind jedoch nur ausschnitthaft jene ausdrücklichen Befürwortungen von Menakas Vorführungen erhalten, die für Krauss’s PR-Arbeit von besonderem Interesse waren. Die Sichtung der Rezensionen in ihrem ganzen Umfang ergibt einen wesentlich differenzierteren Befund. Die Kommentare der deutschen Kritiker waren tatsächlich widersprüchlich und reichten von rückhaltlosen exotistischen Spekulationen, über detaillierte Beschreibungen ästhetischer Transzendenzerfahrungen bis zu einfühlsamen ethnografischen Beschreibungen. Die Berichte enthalten zudem einige aufschlussreiche Detailbeobachtungen zu den tatsächlichen Umständen der Aufführungen und vervollständigen derart das Bild dieser zwei Jahre, in denen Menaka mit ihren TänzerInnen und Begleitmusikern durch Deutschland reiste und so gut wie jeden Abend von neuem ihr Programm vor einem „klatschenden und manchmal auch dumm lachenden Publikum“ [1] darbot.

Gleichwohl verbietet sich aus heutiger Sicht natürlich eine affirmative Lesart der Texte als unmittelbare Repräsentationen der performativen Ereignisse. Zu offenkundig ist die ideologische Rhetorik vieler Rezensionen, zu deutlich ihre teils rassentheoretische Fundierung, zu unanschaulich die Metaphorik des Feuilletonstils der 1930er Jahre, zu ersichtlich waren die Blicke der Beobachter – mehr noch als von dem eigentlichen Bühnengeschehen – von den unterschiedlichsten Diskursen geleitet. In vieler Hinsicht belegen die Texte vor allem das Problem der Repräsentierbarkeit ephemer perfomativer Ereignisse als solches. Die Beschreibungen sind auf vielen Ebenen vermittelt und vielmehr als komplexe intertextuelle Objekte zu betrachten, die nicht nur ihre weltanschauliche Disposition, sondern beispielsweise auch die Beziehungen zwischen AutorInnen und Leserschaft, politische Konkurrenzhaltungen der Zeitungen selbst, tagesaktuelle politische Bezüge, regionale Dynamiken wie das Verhältnis zwischen Provinz und Metropole – usw. verhandelten.
Zweifellos dienten die Beschreibungen von Menakas indischem Ballett vordergründig einer kulturellen Selbstvergewisserung der Deutschen unter den Vorzeichen des Nationalsozialismus. Das wird anschaulich an den verschiedenen Ansätzen, mit denen die RezensentInnen versuchten, dass indische Ballett in den Kontext einer völkischen Kulturtheorie einzuordnen. Es zeigt sich aber auch, dass sich die Texte derart auch als Dokumente einer – wie Hannelore Bublitz sagt – „Neuordnung anthropologischer Wissensbestände“ lesen lassen, welche einherging mit der „Entdeckung“ des Körpers als kulturellem Archiv, eines Körpers, der eben „immer schon symbolisch bedeutsamer, ›gesprochener Körper‹ ist – und bei dem „Kulturelle und soziale Körpercodes verweisen auf den Körper als Projektionsfläche historisch wechselnder Ein- und Überschreibungen.“ [2]

Die vielen offenkundig völkischen Lesarten der Menaka-Aufführungen lassen leicht vergessen, dass das Interesse für Folklore ein Grundzug der gesamten europäischen Moderne Anfang des 20. Jahrhunderts war. [3]  Inge Baxmann hat darauf hingewiesen, dass der Kurzschluss der Folkorebewegung mit der völkischen Bewegung in Deutschland geradezu unvermeidlich war, dass aber beispielsweise in Frankreich in den 1920er Jahren in einem linksliberalen politischen Kontext der Blick auf den kulturellen Körper auf ganz ähnliche Weise wie in Deutschland gerichtet wurde. Die Zurichtung der indischen Ballettaufführungen für eine Theorie nationalsozialistischer Ästhetik ist denn auch nur eine der verschiedenen Lesarten, welche die Beobachter auch noch im Jahr 1936 entwickelten. Es gab vielmehr auch in Deutschland 1936 eine breite diskursive Strömung, die mit einem gewissen „Ethnopathos“ (Hannelore Bublitz) auf der Suche nach einem zeitgemäßen Kulturverständnis war. Die Menaka-Aufführungen stifteten also in ihrer scheinbaren Authentizität Evidenz für eine Vielzahl von anthropologisch interessierten Betrachtungen, die durch den Re-Enactment Charakter des Programms ebenso wie durch seinen Anspruch auf künstlerische Geltung vermittelt waren.

Evidenz erzeugen die Berichte schließlich auch  als eigene literarische Gattung – im Format der zweispaltigen Feuilletonrezension. Die spezifischen ästhetischen, politischen und wissenschaftlichen Diskurse, die sich in die Berichte eingeschrieben haben, kommen darin im Schnitt in 500 Wörtern zum Tragen und die AutorInnen verdichten darin oft mit handwerklichem Geschick ihre Wahrnehmungen des indischen Balletts als einem Umschlagplatz, „auf dem Strukturen der Erfahrung, der Emotionen und des Wissens konvergieren, aber auch Kämpfe um die Konstruktion von Tradition und die Neudefinition des Populären ausgefochten wurden.“ [6]

[1] Hav., „Indiens mystisches Lächeln, Menaka mit Tanzgruppe und Hinduorchester im Stadttheater“, Westfälische Neueste Nachrichten, 7. März 1936, Stadtarchiv Bielefeld.

[2] Hannelore Bublitz, Das Archiv des Körpers : Konstruktionsapparate, Materialitäten und Phantasmen, Sozialtheorie (Bielefeld: transcript, 2018).

[3] Die Verquickung von Folklore und Nationalpolitik hatte in ganz Europa kontinuierliche Entsprechungen. Ähnliche Muster einer „soziokulturellen Anti-Modernisierung“ hat beispielsweise Cecile Stehrenberger in „Francos Tänzerinnen“ anhand der Tourneen der folkloristischen Choros y Danzas-Gruppen im francistischen Spanien in den 1950er Jahren nachgezeichnet. Im Anschluss an McClintock spricht sie von der Herauskristallisierung einer  „janusköpfige Idee von Nation“ […], deren eines Gesicht in Richtung einer nebulösen Vergangenheit und deren anderes in eine unbestimmte Zukunft gerichtet war.“ Anne McClintock, „‚No longer in a future heaven‘: nationalism, gender, and race“, Becoming national : a reader, 1996, 260–84.

[4] Siehe dazu Simon Frisch, Elisabeth Fritz, und Rita Rieger, Hrsg., Spektakel als ästhetische Kategorie: Theorien und Praktiken, Bd. Band 5, Inter-media, Band 5 (Paderborn: Wilhelm Fink, Brill Deutschland, 2018).

[5] Der Tourneeplan aus dem Nachlass des Impresarios Ernst Krauss für das Jahr 1936 hat sich weitestgehend als korrekt erwiesen. 186 Spielorte enthält der Plan für das Jahr 1936, 109 davon liegen in Deutschland. Krauss‘ Planung reicht aber lediglich bis in den Januar 1937. Der weitere Verlauf der Tour im Jahr 1937 ließ sich aus dem Krauss-Nachlass bisher nicht rekonstruieren. Möglicherweise übernahm ab 1937 auch die Mannheimer Konzertdirektion, die mit Krauss offenbar kooperierte, die weitere Organisation der Tournee.

[6] Baxmann?